10.09.2007

Von Weimar nach Bonn/Berlin: Vom fallweise-exzeptionellen zum ideologisch-permanenten Notstand


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aus:
Ordnungsmacht? Über das Verhältnis von Legalität, Konsens und Herrschaft hrsg. von Dieter Deiseroth / Friedhelm Hase / Karl-Heinz Ladeur, EVA: Frankfurt am Main, 1981, 69 - 84.

Die Hervorhebungen entsprechen dem Orginal; die roten Ziffern geben das Originalseiten an.

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Friedhelm Hase

»Bonn« und »Weimar« Bemerkungen zu der Entwicklung vom »okkasionellen« zum »ideologischen« Staatsschutz

I.

Daß »Bonn« nicht »Weimar« sei1, ist in den letzten fünfundzwanzig Jah­ren unzählige Male bekräftigt worden. Nicht daß die Aussage in ihrer Allgemeinheit kontrovers gewesen wäre - das Gegenteil ist meines Wis­sens bisher nicht behauptet worden, sind doch die Unterschiede zwi­schen den durch die beiden Städtenamen markierten Verfassungsepo­chen sozusagen mit Händen zu greifen.2 Seine Popularität verdankt der Slogan auch nicht den unbestreitbaren und eigentlich banalen Wahrhei­ten, die in ihm ausgesprochen sind. Diese beruht vielmehr darauf, daß er eine Vielzahl von Mythen und Legenden transportiert, die allesamt auf die Abstützung des politischen und ideologischen Status quo in der Bundesrepublik abzielen: es ist die (sich von Zweifeln indes nie ganz frei machende) Gewißheit der Stabilität dieses Status quo, die sich ihrer selbst zu versichern sucht, wenn dessen Differenz zur krisenhaften Si­tuation von Weimar beschworen wird. Mit dem selbstverständlichen Vertrauen, das in früheren bürgerlichen Staats- und Rechtsvorstellungen noch in die Stabilität und den Zusammenhalt, in die »spontan« wir­kenden Selbsterhaltungskräfte der bürgerlichen Gesellschaft gesetzt war, hat diese Gewißheit jedoch nichts mehr gemein. Sie ist fixiert auf die Aktivität der staatlichen Instanzen, von der sie, über das bisher in den parlamentarischen Demokratien gekannte Maß hinaus, die Verein­heitlichung, Stabilisierung und Formierung des Politischen erwartet.3 Vor allem zielt sie auf die Freisetzung und Legitimierung einer repressi­ven politischen Praxis des Staats, der in neuer Weise der kontrollierende Zugriff auf diejenigen »Bereiche« eröffnet wird, die unter dem Regime der politischen Freiheitsrechte der Verfassung stehen. Diese waren

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natürlich in keiner Phase in der Geschichte des bürgerlichen Staats wirklich unantastbar. Das Spezifische und gegenüber »Weimar« Neue aber besteht darin, daß der westdeutsche Staat, zudem von Rechts wegen, die Kompetenz beansprucht, bestimmte politische Richtungen generell politisch zu eliminieren, sie ein für allemal von der Bühne des Politi­schen zu verbannen. Die politische Repression hat hier die situativen, okkasionellen Momente zurückgedrängt, durch die sie in der Vergan­genheit charakterisiert war; sie hat sich von den konkreten Umständen und Risiken konkreter veränderlicher Situationen abgelöst und ist, an­ders als in den überkommenen Notständen, Ausnahmezuständen und polizeilichen Gefahrensituationen, von bestimmten Gefahren und deren politischer Bewertung weithin unabhängig.4 Die »freiheitliche demokratische Grundordnung« legitimiert ihre Repressionen nicht an den Besonderheiten bestimmter Situationen und Zustände, sondern auf einer allgemeinen ideologischen Ebene.5

In dem hier in Rede stehenden Slogan ist dies als aus dem Scheitern von »Weimar« zu ziehende (und in der Bundesrepublik gezogene) Lehre ausgegeben. In ihm ist »Weimar« als die »schutzlos bedrohte«, die »in ihrem Abwehrkampf gegen ihre Feinde verfassungsrechtlich mangel­haft ausgerüstete [...] Demokratie« dargestellt.6 Vermochte diese sich durch punktuellen Einsatz der staatlichen Machtmittel gegen sol­che Attacken noch zur Wehr zu setzen, die offen und mit gewaltsamen Mitteln den Umsturz anstrebten, so war sie ungeschützt den »sich hin­ter den Rechtsgarantien der Demokratie verschanzenden«7, auf legale Taktiken gegründeten Angriffen ausgeliefert. Die repressive Praxis des Staats und die ihr zu Gebote stehenden Machtmittel reichten nicht aus, solcher Gefahren Herr zu werden - in diesem Verständnis letzten Endes deshalb, weil ihre Entwicklung durch die »politische Philosophie« der Weimarer Reichsverfassung blockiert war, die vielfach als »relativi­stisch«, einer verbindlichen werthaften Fundierung entbehrend, hinge­stellt wurde. Die Verfassung vom 11.8.1919 war »im Grundsatz dafür, daß sich die politische Freiheit und die Maßgeblichkeit der Mehr­heit selbst um den Preis auslebe, daß die Demokratie darüber stürbe«8. Sie »stand auf dem selbstmörderischen Standpunkt der Prinzipientreue um den Preis der Selbstaufgabe«.9 Mit den folgenden Thesen soll deut­lich gemacht werden, daß diese Vorstellung einer »aus Prinzipientreue wehrlosen Demokratie« in bezug auf »Weimar« ganz unhaltbar ist - daß sie auf einer verzerrten Wahrnehmung von Struktur und Praxis des »Weimarer« Staats beruht, die dadurch zustande kommt, daß die Praxis

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des gegenwärtigen Staats distanzlos vorausgesetzt und zum Maß aller Dinge erhoben wird.

Der »Weimarer« Staat scheute keineswegs davor zurück, massiv in das Regime der politischen Freiheitsrechte zu intervenieren und legales po­litisches Handeln seinem Kontroll- und Reglementierungs-Anspruch zu unterwerfen. Er war durchaus nicht »prinzipientreu«,»schwach« und »wehrlos« in dem Sinne, daß seine militärischen, exkutivischen, justiziellen und legislativen Instanzen auf repressive Eingriffe in den »Be­reich« verzichtet hätten, der dem in den Grundrechten fixierten Anspruch nach von staatlicher Ingerenz frei zu sein hat. Es ist an dieser Stelle ganz unmöglich, die Maßnahmen und Notverordnungen nach Art. 48 RV auch nur aufzuzählen (geschweige denn genauer zu behan­deln), die »zum Schutze der Republik«, zur »Bekämpfung politischer Ausschreitungen«, zur Verhängung des militärischen bzw. des zivilen Ausnahmezustands etc., besonders häufig in den ersten Jahren und in der Endphase der Republik, erlassen wurden und die Grundlage gravie­render Einschränkungen etwa der Presse-, Versammlungs- und Vereini­gungsfreiheit bildeten.10 Mehrfach wurden Parteien und sonstige Orga­nisationen verboten.11 Das »Gesetz zum Schutz der Republik« aus dem Jahre 192212 stellte unter anderem die Beteiligung an bzw. die Unter­stützung von Organisationen unter Strafe, welche »die verfassungs­mäßig festgestellte republikanische Staatsform des Reichs oder eines Landes zu untergraben« suchen. Es pönalisierte die »öffentliche Be­schimpfung der Republik« und ermöglichte das Verbot von Versamm­lungen, in denen zur Beseitigung der republikanischen Staatsform auf­gerufen wurde. Ferner gehören die Maßnahmen des Reichspräsidenten nach Art. 48 RV in diesen Kontext, denen 1923 die Landesregierungen in Sachsen und Thürigen und 1932 die preußische, von SPD und Zen­trum getragene Regierung zum Opfer fielen - allesamt massive und fol­genschwere Einbrüche der Exekutive in das System parlamentarisch-demokratischer Legalität, nach deren Regeln diese Regierungen sich im Amt befanden. Schließlich ist hier auf die Praxis der politischen Straf­justiz hinzuweisen, die beispielsweise legale Aktivitäten von Kommuni­sten unter den Hochverratsparagraphen des Strafgesetzbuchs subsumierte.13

Wirklich unterschieden sind »Bonn« und »Weimar« allerdings in den Strukturen der jeweils dominierenden repressiven Praxisformen des Staats und in der Art und Weise, in der sie sich darstellen und zu legiti­mieren suchen. Diese Unterschiede sind es auch, die dein populären


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Slogan den Schein von Plausibilität verleihen. Direkt an die krisenhaf­ten Bewegungen und Brüche der politischen Konjunkturen gekoppelt, punktuell einsetzend und mehr für die Wirkung des Augenblicks be­rechnet, »im bunten Wechsel Verschärfung und Milderung«14 brin­gend, zerfallen die repressiven Aktionen des »Weimarer« Staats in eine Vielzahl einzelner und uneinheitlicher Maßnahmen, die ihre Legitima­tion in den besonderen Gefahren konkreter Situationen und Zustände, nicht allgemein im Ideologischen haben. Die Politik der Repression kann sich nicht zu allgemeinen und konsistenten »Prinzipien« verdich­ten, so daß die einzelnen Aktionen keinen gemeinsamen ideologischen Nennen finden.15 Dieser »okkasionelle« Charakter der Repressionen des »Weimarer« Staats ist teilweise dadurch bedingt, daß sie weithin auf der Grundlage von »Notverordnungen« bzw. als »Maßnahmen« des Reichspräsidenten nach Art. 48 RV auftraten und sich damit auf eine Kompetenz berufen mußten, die in der Tradition der staatsrechtlichen Institute des Ausnahmezustands oder Staatsnotrechts stand16 - eine Kompetenz, die bei aller Tendenz zur Entformalisierung der vordem starren und ritualisierten Regeln17 doch an die Besonderheiten konkre­ter Situationen geknüpft war, deren prinzipielle Unterscheidbarkeit von dem »normalen« Zustand vorausgesetzt war. Der Rückgriff auf Art. 48 RV setzte, obschon man es in der Praxis mit diesem Erfordernis nicht sonderlich genau nahm, »offiziell« eine »schwere Gefährdung der staat­lichen Existenz und der Verfassungsordnung im Inneren« voraus18; auf diese Norm gestützten Maßnahmen war als Ziel die »Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung« vorgegeben, und sie blieben auch dort, wo sie direkt als Mittel eines die Mechanismen des parlamen­tarischen Legalitätssystems konterkarierenden Krisenmanagements eingesetzt wurden, ihrem notständisch-situativen Ursprung verhaftet.19 Wesentlicher scheint mir zu sein, daß die verschiedenen repressiven Maßnahmen und Strategien in »Weimar« nicht in die Praxis eines »sta­bilen«, kontinuierlich ohne größere Krisen und gravierende Brüche funktionierenden Staats integriert sind, der auf einer gesicherten, konsensual abgestützten ideologischen Grundlage auch seine repressiven Aktivitäten legitimieren und in allgemein anerkannten, dauerhaft zu bewahrenden übergeordneten »Werten« und »Prinzipien« »verorten« kann. Das Gelingen der fundamentalen ideologischen und politischen Vereinheitlichungsprozesse, deren Inszenierung in der bürgerlichen Gesellschaft dem Staat zugewiesen ist, ist in Deutschland spätestens nach dem Ende des Ersten Weltkriegs problematisch geworden. Am

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deutlichsten wird dies in dem »doppelstaatlichcn« Neben- und Gegen­einander von Legislative und Exekutive, das für lange Phasen der politi­schen Geschichte von »Weimar« charakteristisch ist.20 Mit der um parlamentarisch-pluralistische Mechanismen und Ideologien zentrierten Legislative und der diesen gegenüber - schon in der Verfassung, vor allem aber in der Tendenz des realen politischen Prozesses - verselb­ständigten, sich auf eine nicht pluralistisch vermittelte bzw. antipluralistische Legitimität stützenden, präsidial dirigierten Exekutive sind in »Weimar« sozusagen zwei disparate Formen politischer Integration repräsentierende Staaten zusammengeschlossen21, deren jeweilige Praxis nicht in einer stabilen hierarchischen Ordnung koordiniert ist. Die »Zerrissenheit« der politischen und ideologischen Formation von »Weimar« wird im Vergleich mit dem den Staat und die domi­nierenden politischen Richtungen in der Gesellschaft umgreifenden, einigermaßen stabilen »autoritären Pluralismus« besonders offensicht­lich, der sich in den fünfziger Jahren in der Bundesrepublik in der Fixierung auf eine relativ schwache Fundamentalopposition heraus­gebildet und ideologische Konsistenz gewonnen hat. In ihm findet auch der durch die Formel von der »freiheitlichen demokratischen Grund­ordnung« markierte »ideologische« Staats- oder »Verfassungsschutz« seinen Halt, der die repressiven Praktiken des »Bonner« Staats sozusagen überdeterminiert: über die - bald nach 1949 substanzhaft aufgeladene, mit den vorherrschenden, die elementaren Strukturen des Status quo überhöhenden politischen Ideologien und deren »Werten« aufgefüllte - »freiheitliche demokratische Grundordnung« rekurriert er auf eine allgemeine ideologische Ebene, auf der er grund­sätzliche und für alle verbindliche Abgrenzungen zwischen »legitimer« und »illegitimer«, zulässiger und unzulässiger Politik zu treffen bean­sprucht.

II.

Einen vergleichbaren konsistenten und eindeutigen ideologischen Kon­text, der die Vereinheitlichung der einzelnen Maßnahmen und ihre Abstützung in einem ideologischen Prinzip ermöglicht hätte, findet die repressive politische Praxis des »Weimarer« Staats hingegen nicht vor. Ansätze eines Konzepts eines »ideologischen Staatsschutzes« sind in »Weimar« allerdings vorhanden; sie können sich jedoch unter den be-


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sonderen Bedingungen dieser Verfassungsformation nicht vollständig entfalten und prägen nicht die Praxis des Staats. Meine These lautet, daß solche Ansätze, die letztlich auf ein autoritäres, durch die pro­phylaktische staatliche Ausgrenzung »nichtintegrierbarer« Kräfte stabilisiertes pluralistisches System abzielen, in den Konzeptionen der parlamentarisch-liberal orientierten staatsrechtlichen Ideologie aufzufinden sind.22 Sichtbar werden sie speziell in der Art und Weise, wie hier in der Staatsrechtslehre Krise und Zerfall des »Weimarer« Parlamentarismus abgebildet und Mittel der Abhilfe ventiliert werden. In der von dieser Richtung propagierten »pluralistischen«, sich von den Politikformen des »Obrigkeitsstaats« der Vergangenheit abgren­zenden Politikkonzeption ist notwendig die - in der realen Situation von »Weimar« ja äußerst prekäre - Möglichkeit vorausgesetzt, die Praxis des Staats auf die Konsense und die freiwillige kompromißhafte Einigung der gegenüber dem Staat relativ autonomen gesellschaftlichen Kräfte und politischen Organisationen, zumal der großen, im Parlament zusammengeschlossenen Parteien zu stützen. Das »ganze parlamen­tarische Verfahren mit seiner dialektisch-kontradiktorischen [...] Technik ist gerichtet auf die Erzielung eines Kompromisses«23 - das in heterogene Kräfte zerfallende und einen einheitlichen Willen, einen »Gemeinschaftswillen« entbehrende Volk findet seine »Einheit« und den Ausgleich der gegensätzlichen Interessen in den von dem Parla­ment dominierten und geprägten Institutionen des Staats, die seine Herrschaft - also Demokratie - erst ermöglichen.24 Das Verhältnis von Staat und »Gesellschaft« (den Individuen und den sozialen Organi­sationen und Institutionen) ist mithin in der für die parlamentari­sche Ideologie charakteristischen Weise ideologisch derart strukturiert, daß der Staat als Mittel erscheint, mit dessen Hilfe sich die »spontane Homogenität« der sich und ihre Interessen als Zwecke des Staats set­zenden gesellschaftlichen Kräfte herstellen und reproduzieren kann.25 Damit baut diese Ideologie auf das Funktionieren außerordentlich vor­aussetzungsreicher Prozesse politisch-ideologischer Vereinheitlichung und Konsensbildung in der Gesellschaft, das erst die pluralistische Ver­mittlung der Praxis des Staats, ihre Synchronisation mit der freiwilligen Zustimmung der maßgeblichen politischen Fraktionen ermöglicht. Problematisch waren diese Voraussetzungen in »Weimar« schon des­halb, weil sich derartige pluralistische Mechanismen und Ideologien in der (»besonderen«) deutschen Tradition kaum hatten herausbilden können, in der die Durchsetzung und Befestigung der bürgerlichen

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Ideologie auf spezifische Hindernisse gestoßen war: Der bürokratisch-militärische »Obrigkeitsstaat« des 19. Jahrhunderts hatte seine Praxis weniger auf spezifisch bürgerliche Ideologien und sozialintegrativc Po­litikformen, in denen sich die »spontane Homogenität« der gesell­schaftlichen Kräfte herstellen kann, als auf von ihm selbst kraft seiner Autorität definierte und gegen seine »Feinde« verteidigte »hermeti­sche« Ordnungskonzepte gestützt, die sich an die Individuen richteten, deren Ein- und Unterordnung (nicht freiwillige Einigung) sie bean­spruchten. An der Formulierung dieser Ordnungen waren, grob gespro­chen, gesellschaftliche (d.h. nicht staatlich verfaßte) Instanzen und Pro­zesse nicht beteiligt, woran die besondere Stärke, zugleich aber auch die spezifische Rückständigkeit und die latente ideologische Krise des deut­schen Kaiserreichs ablesbar sind.26 Ohne diese Defizite jedenfalls, welche die deutsche Entwicklung nachhaltig geprägt haben, ist die Krise des »Weimarer« Parlamentarismus nicht zu verstehen, die nicht zuletzt durch ein weitverbreitetes Mißtrauen gegenüber dem par­lamentarischen System bedingt war, dem kaum zugetraut wurde, in seinen besonderen pluralistisch-integrativen Formen und damit auf der Grundlage der Kompromisse gesellschaftlicher Organisatio­nen wie der Parteien einen stabilen Staat und eine regierungsfähige Re­gierung hervorzubringen. All dies führte in »Weimar« nicht nur zum Vordringen eines mit den parlamentarischen Institutionen und Ideolo­gien rivalisierenden exekutivisch-machtstaatlichen politischen Integra­tionssystems, sondern auch zu einer spezifischen Deformation der in die Defensive gedrängten parlamentarischen Ideologie: zu einer deutli­chen Tendenz, das Pluralismuskonzept aus einem auf die empirischen politischen Verhältnisse bezogenen Struktur- und Verfahrensmodell in eine für alle politisch agierenden Subjekte verbindliche »restriktive« po­litisch-weltanschauliche Ethik umzumünzen, die ihre Sanktionsinstanz nicht so sehr in (ohne die Mittel rechtlicher Überhöhung, Verfestigung und Sanktionierung auskommenden) gesellschaftlichen Mechanis­men als vor allem im Staat sucht. Die Defizite und die Schwäche der auf die Produktion »spontaner Homogenität« abzielenden Mechanismen und Ideologien haben zur Folge, daß die modellierende und abstützen­de Aktivität des Staat ideologisch freigesetzt wird. Ich möchte dies als die repressive oder autoritäre Umstülpung der pluralistischen Ideologie bezeichnen, die sich in »Weimar« mindestens andeutet und in der das Konzept des »ideologischen Staatsschutzes« vorformuliert ist.27 Diese Umstülpung ist in der deutschen parlamentarisch-pluralistischen

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Ideologie der zwanziger und frühen dreißiger Jahre insofern angelegt, als sie sich weniger an realen politischen Verfahrensweisen und empiri­schen politischen Prozessen als vielmehr an einem abstrakten »relativi­stischen« philosophischen Konzept zu legitimieren sucht, das dazu ten­diert, Verhaltens- und Gesinnungsimperative an die politisch agieren­den Subjekte zu adressieren. Es geht ihr - Indiz ihrer Schwäche - nicht so sehr darum, die konkrete Nützlichkeit der parlamentarischen Institu­tionen und Methoden für die empirischen Individuen unter den konkre­ten politischen Bedingungen darzutun, sondern vor allem darum, deren überhistorische Notwendigkeit oder »Richtigkeit« »erkenntniskritisch« abzuleiten. Parlamentarisch-demokratische politische Formen und Ein­richtungen sind dann letztlich deshalb erforderlich, weil »der mensch­liche Geist« an dem Versuch gescheitert ist, »objektive«, »absolute« und »verbindliche« Werte aufzufinden. Er muß sich daher mit der Erkenntnis »relativer« Werte begnügen, die gleichberechtigt und gleichwertig nebeneinanderstehen. Darum ist auch die Frage der »Richtigkeit« der Programmatik der verschiedenen Parteien nicht all­gemein verbindlich zu entscheiden. Daraus folgt wiederum, daß der Staat allen Parteiungen gleichen Zugang zu seinen Institutionen ermöglichen muß - er muß parlamentarisch-pluralistischer Staat sein, in dem die jeweilige (und veränderliche) Mehrheit der Bürger darüber befindet, welcher der Parteien die Direktionsbefugnisse zugewiesen werden.28 Aus diesem Ansatz formuliert diese Gruppe ihre Einwände gegen alle nichtpluralistischen - »autokratischen«, »obrigkeitsstaatli­chen« etc. - Herrschaftsformen, die sich auf den - erkenntnistheoretisch gar nicht haltbaren - Vorrang einer, sich in ihren weltanschaulich­ideologischen Konzepten als eindeutig und geschlossen darstellenden Richtung stützen müssen.29 Die repressive Tendenz, die dieser politi­schen Ideologie immanent ist, die ihren Gegenstand entpolitisiert und dessen praktisch-politische Problemstellungen umstandslos in abstrakte subjektzentrierte erkenntnistheoretische Fragen transpo­niert, ist hier unschwer zu erkennen: sie postuliert Tugenden wie Einordnungs-, Kompromiß- und Verständigungsbereitschaft und läßt sich leicht gegen Minderheiten mobilisieren, die sich in die Konsense und Kompromisse der je dominierenden (und den Staat »besetzenden«) Parteiungen nicht einordnen oder zu diesen nicht zugelassen werden, die deshalb aber in deren Wahrnehmung leicht als nicht integrierbar er­scheinen und als Parteien abgebildet werden können, die die »Richtig­keit« nur ihrer Überzeugungen gelten lassen wollen.30 Gleichzeitig legt

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die »relativistische« Philosophie eine Betrachtungsweise nahe, in der die Krisen und Friktionen der parlamentarisch-pluralistischen Mecha­nismen und Ideologien nicht als Produkt komplexer, realhistorischer politischer Bedingungen - diese sind in ihren dürftigen Abstraktionen gar nicht darstellbar -, sondern als Folge mangelnder Kompromiß- und Integrationsbereitschaft eines Teils der Parteiungen erscheinen und da­mit letzten Endes aus dem Willen der Subjekte erklärt werden. Diese unter den Geboten der Verständigung und des Kompromisses stehen­de Tendenz der »Subjektivierung« politischer Prozesse und Bedingun­gen drängt die »relativistische« Ideologie in Situationen der Krise der parlamentarischen Institutionen dazu, entweder angesichts des nicht auf kompromißhafte Formen der Einigung gerichteten »Willens« der Parteiungen, wenn dieser ihr als übermächtig erscheint, zu resignieren - oder auf die politische Aktivität der staatlichen Instanzen und darauf zu bauen, daß die gestörte »spontane Homogenität« durch sie im Wege der Ausschaltung oder der zwangsweisen Anpassung der nicht kompromiß­bereiten Kräfte stabilisiert wird. In »Weimar« neigte die parlamentari­sche Ideologie zur Resignation. Hatte etwa Kelsen noch Mitte der zwan­ziger Jahre den Parlamentarismus für die einzig mögliche politische Form gehalten, die sich sozusagen mit Naturnotwendigkeit durch alle politischen Schwankungen immer wieder durchsetzen muß31, so kon­statiert er 1932, die parlamentarische Demokratie tauge als »politische Form des sozialen Friedens« nicht für einen auf die entscheidende Nie­derwerfung des Gegners gerichteten Klassenkampf. Sie werde deshalb von den Kräften auf der Rechten und der Linken verworfen, »die den Frieden und den Preis des Friedens nicht wollen: das Kompromiß«.32 Die Kritik, die nur auf den »Willen«, nicht auf die Bedingungen gerich­tet ist, sieht sich immer dazu gedrängt, Zuflucht bei einem Mittel zu suchen: beim Zwang, der den kritisierten Willen beugen soll. Die Frage, »ob die Demokratie [!] sich nicht selbst verteidigen soll«, ist bei Kelsen indes (noch) verneint: sie dürfe sich nicht wehren, weil die Volksherr­schaft nicht gegen »das« Volk bestehen bleiben könne.33 - Wenn gesagt wird, eine richtig gestellte Frage enthalte bereits die halbe Antwort, dann gilt auch das Umgekehrte: daß falsch gestellte Fragen wegen der kontinuierlichen Wirkung der ihnen zugrunde liegenden Vorstellungen mit ziemlicher Sicherheit in die Irre führen.

Bereits 1934 jedoch sind bei G. Radbruch die repressiven Implikationen des »relativistischen« Pluralismuskonzepts offen formuliert.31 Rad­bruch ist der Ansicht, der »Parteienstaat« habe den Parteien, die er zu


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maßgeblichen Faktoren des öffentlichen Lebens erhoben hat, nicht nur politische Rechte verliehen, sondern ihnen auch Pflichten auferlegt - im Kern die Pflicht, die »pluralistische« Integration der heterogenen gesell­schaftlichen Gruppierungen und Parteiungen voranzutreiben und sie vor allem nicht durch einseitige Orientierung an partialen Standpunk­ten und Interessen - Interessen zum Beispiel einzelner Berufsstände, Klassen, religiöser Organisationen - zu sabotieren.35 War Radbruch in »Weimar« noch davon ausgegangen, daß der Staat diese »politi­schen Pflichten« nicht rechtlich sanktioniert habe, sondern auf das »po­litische Pflichtgefühl« der Parteien vertraue36, so fordert er 1934 - was für den damaligen deutschen Staat ohne Bedeutung war, von um so größerer aber für den zukünftigen (westdeutschen) werden sollte - den repressiven Einsatz der staatlichen Machtmittel gegen solche Parteien, die sich nicht in das pluralistische Integrationskonzept einordnen. Hatte die »relativistische« politische Philosophie sich zunächst darum be­müht, aus der Nichterweislichkeit der Wahrheit der verschiedenen poli­tischen und sozialen Überzeugungen und ihrer darin begründeten Gleichwertigkeit die Notwendigkeit des demokratischen Staats zu de­duzieren - »der Relativismus fordert einen demokratischen Staat« -, so formuliert sie jetzt auch umgekehrt: »Die Demokratie ihrerseits setzt den Relativismus voraus.«37 Sie schickt sich nunmehr an, nach Instan­zen und Mechanismen zu suchen, die die Durchsetzung der »relativistisch-pluralistischen« Ideologie in der gesellschaftlich-politischen Öffentlichkeit zwangsweise garantieren sollen. Denn »der Relativis­mus« kann, so Radbruch, jede Meinung dulden, außer derjenigen, die sich selbst für »absolut« hält.38 So rasch und vermittlungslos, wie die »relativistische« Philosophie das Feld des Politischen verließ, um die Konturen der in ihm vorfindlichen Probleme und Konflikte in ihrem diffusen Zweifel an der Erkennbarkeit der Wahrheit gedanklich aufzu­lösen, so rasch und vermittlungslos kehrt sie in dieses zurück, ausge­stattet nunmehr mit der Macht des Staats, die sie gegen jene wendet, die sich ihren Imperativen der Kompromiß- und Verständigungsbereit­schaft widersetzen - nicht also gegen diejenigen, die die durch das System parlamentarischer Legalität fixierten politischen Verfahrens­prinzipien praktisch negieren, sondern gegen die Feinde ihrer Ideologie. Der Staat, so Radbruch, »wird jede Meinung zulassen, die bereit ist, mit den anderen Meinungen in den ideologischen Kampf einzutreten. [...] Aber wenn eine Meinung absolut gültig zu sein behauptet und aus diesem Motiv sich berechtigt glaubt, die Macht ohne Rücksicht auf

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die Mehrheit zu ergreifen oder zu behalten, dann muß man sie mit ihren eigenen Mitteln bekämpfen, nicht allein mit der Idee und der Diskussion, sondern mit der Macht des Staates. Relativismus ist die allgemeine Toleranz - nur nicht Toleranz gegenüber der Intoleranz«.39 Es war vor allem dieses ideologische Konzept, dem nach 1945 die Auf­gabe zufiel, die repressive politische Praxis des Staats zu legitimieren. Dazu war es deshalb besonders geeignet, weil es die Möglichkeit eröffnete, den Bruch mit der Vergangenheit des (diktatorischen) faschi­stischen wie des (»schwachen demokratischen«) »Weimarer« Staats hervorzuheben, zugleich aber an die politisch repressiven Traditionen antidemokratischer deutscher Staatlichkeit anzuknüpfen. Die Repres­sion von heute als Lehre aus der gestern praktizierten, der »ideologi­sche« Staatsschutz als Lehre aus dem Scheitern des »okkasionellen« - darauf läuft dieses Konzept letzten Endes hinaus, das sich nach 1949 bald zur Ideologie der »streitbaren Demokratie« fortentwickelte, nachdem der Bruch mit dem Faschismus sich von dem konkreten histo­rischen Erfahrungszusammenhang abgelöst und zu einer verallge­meinernden Negation von »Totalitarismus« schlechthin verfestigt hatte, nachdem zur selben Zeit die antifaschistischen politischen Ten­denzen in der Gesellschaft in der Definition der Ziele und Gehalte dieses Bruchs von dem sich rasch stabilisierenden neuen Staat ver­drängt worden waren. Seitdem beruft sich dieser darauf, daß »Bonn« nicht »Weimar« sei.


(vollständiger Text als pdf-Datei:

http://media.de.indymedia.org/media/2007/09//194050.pdf)

Anmerkungen

1 Grundlegend dazu F. R. Allemann, Bonn ist nicht Weimar, Köln und Berlin 1956.

2 In der jüngsten Zeit beginnt diese Gewißheit offenbar brüchig zu werden. Deutlich wird dies z.B., wenn M. Stürmer in einem Bericht über ein im Haus der Thyssen-Stiftung in Köln durchgeführtes, dem Verfall der Weimarer Re­publik gewidmetes Kolloquium nicht nur über »Weimar« nachdenkt, son­dern auch über den »Ernstfall der zweiten Republik« spekuliert und, eine Be­merkung H. Lübbes aufgreifend, die strategische Überlegenheit des Den­kens »vom Ernstfall her« hervorhebt. Dieses Denken werde »zunehmend un­bequem für eine Mitte, die sich als wohlmeinende definiert«, zwinge aber letztlich auch den, der es nicht wolle, unter seine Logik, M. Stürmer, »Demo­kratie im Schatten des Ernstfalls«, in: FAZ vom 29.6.1979. W. Leisner hat un­längst die geläufige Vorstellung von der Überlegenheit des Bonner Grundge-


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setzes gegenüber der Weimarer Reichsverfassung global in Zweifel gezogen: Ein »Güte-« oder »Bewährungsurteil« über das Grundgesetz lasse sich, ins­besondere im Vergleich zur Weimarer Verfassung, deshalb nicht fallen, weil für das Grundgesetz »die eigentliche Belastungsprobe« noch ausstehe. Eine wirkliche Verfassungskrise sei in der Bundesrepublik bisher noch nicht ein­getreten. Jedenfalls dürfen, so Leisner im Hinblick auf mögliche künftige Krisen, »das reale politische Gewicht« und »die politischen Stabilisierungs-wirkungen der neuen Institutionen« des Grundgesetzes, die »das Verfas­sungsleben ... zu entpolitisieren« versuchen, nicht überschätzt werden, W. Leisner,»Flexibilität als Bewährungsprobe?«, in: BayVBL, 1979,S. 518 ff, insbes. S. 519. - Es dürfte sich hier um erste Artikulationen einer neuen, die Möglichkeit oder auch Wahrscheinlichkeit massiver Krisenerscheinungen in Rechnung stellenden ideologischen und politischen Richtung handeln, die in Konkurrenz zu der wesentlich harmonisierenden autoritär-pluralistischen Stabilitätsideologie zu treten beginnt, die das Verfassungssystem der Bun­desrepublik unangefochten zu dominieren schien.

3 Vgl. dazu allgemein auch K.-H. Ladeur, »Verfassungsgerichtsbarkeit und die »grundlegende Konvention« der bürgerlichen Gesellschaft - Vorüberlegungen zu einer Theorie des Verfassungsrechts«, in: F. Hase, K.-H. Ladeur, Verfassungsgerichtsbarkeit und politisches System, Frankfurt - New York 1980, S. 189 ff., hier S. 251 ff. - Es scheint mir im übrigen eine der wesentlichsten Funktionen des hier behandelten Slogans zu sein, daß er eine Betrachtungsweise nahelegt, in der der Verlauf der Geschichte ebenso wie der politischer und ideologischer Prozesse aus der Pespektive des gegenwärtigen Staats und seiner Praxis wahrgenommen werden.

4 Die Wirkung notständischer Maßnahmen ist auf die Dauer der Notstandssituation berechnet. Weil das Konzept der »freiheitlichen demokratischen Grundordnung« - vgl. vor allem Art.18, 9 Abs. 2 und 21 Abs. 2 GG - die Re­pression vom konkret-situativen politischen Kontext abkoppelt, konnte sich die Vorstellung befestigen, den auf dieses gestützten Maßnahmen komme eine prinzipiell unbefristete Wirkung zu.

5 In diesem Zusammenhang sei daraufhingewiesen, daß Fromont in der Aussprache über Verfassungstreue und Schutz der Verfassung« auf der Jahrestagung 1978 der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer bemerkt hat: »Frankreich ist hauptsächlich ein Nationalstaat, d.h. es ist kein Staat, der ausschließlich oder hauptsächlich auf einer Ideologie aufgebaut wird, wie es m.E. die Bundesrepublik ist.«, VVDStRL Band 37, Berlin und New York 1979, S. 155 f. Vgl. ferner auch H. Ridder, »Das Menschenbild des Grundgesetzes«. Zur Staatsreligion der Bundesrepublik Deutschland, in DuR, 1979,S. 123 ff. Allerdings fordert die »freiheitliche demokratische Grundordnung« nicht die Affirmation bestimmter konkreter, inhaltlich definierter ideologischer Positionen; sie zielt vielmehr auf die Absicherung eines globaleren ideologischen Hegemonialkonzepts, indem sie die Gräben zwischen den verschiedenen »pluralen« Störungen der vorherrschenden Ideologie und minoritären oppositionellen Richtungen vertieft, Prozesse politischer Ab- und Ausgrenzung provoziert und, vermittelt über die Aktivität staatlicher Instanzen, die Statuierung rechtsverbindlicher Grenzmarken ermöglicht.



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6 F. K. Fromme, Von der Weimarer Verfassung zum Bonner Grundgesetz. Die ver­- fassungspolitischen Folgerungen des parlamentarischen Rates aus Weimarer Republik und nationalsozialistischer Diktatur, 2. Aufl., Tübingen 1962, S. 12. Vgl. auch die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts in BVerfGE 5, S. 85 ff., insbes. S. 138.

7 F. K. Fromme, a.a.O., S. 165.

8 H. Jahrreiß, »Demokratie. Selbstbewußtheit - Selbstgefährdung - Selbst­schutz«, in: Festschr.f. R. Thoma, Tübingen 1950, S. 89.

9 F. K. Fromme, a.a.O., S. 117. Dort heißt es allerdings, daß »die Politik« in »Weimar« »notgedrungen in Einzelaktionen« von diesem Standpunkt ab­wich.

10 Einen knappen Überblick gibt F. K. Fromme, a.a.O., S. 165 ff. Vgl. ferner F.-C. Schroeder, Der Schutz von Staat und Verfassung im Strafrecht, München 1970, S. 109 ff.

11 F. K. Fromme, a.a.O., S. 166, 168 f.

12 RGBl I, S. 585. Vgl. allgemein zum Republikschutzgesetz und der auf dieses gestützten Praxis G. Jasper, Der Schutz der Republik. Studien zur staatlichen Sicherung der Demokratie in der Weimarer Republik, 1922-1930, Tübingen 1963; ferner F.-C. Schroeder, a.a.O., S. 119 ff.

13 Vgl. F.-C. Schroeder, a.a.O., S. 116 ff. m.w.N.; H. u. E. Hannover, Politische Justiz 1918-1933, 1. Aufl., Frankfurt a. M. u. Hamburg 1966, insbes. S. 228 ff., 238 ff.

14 F. K. Fromme, a.a.O., S. 169. Dort (S. 168f.) wird u.a. daraufhingewiesen, daß SA und SS durch Verordnung des Reichspräsidenten vom 13. April 1932 verboten wurden, das Verbot jedoch schon am 14. Juni desselben Jahres wieder aufgehoben wurde. - Der Eindruck des Schwankens zwischen Verschärfung und Milderung, den die politische Repression in »Weimar« bietet, kommt nicht zuletzt durch die zahlreichen Amnestiegesetze zustande, die in der Weimarer Republik verabschiedet wurden, vgl. dazu F.-C. Schroeder, a.a.O., S. 112 f. Amnestie und Ausnahmezustand (Kriegs- und Sondergerichte, Strafverschärfungen, Suspension von Grundrechten etc.) sind sozusagen die Extreme, zwischen denen in »Weimar« die Bewegung stattfindet.

15 Darin liegt m.E. der reale Bezugspunkt des hier behandelten Slogans, der diesen spezifischen Charakter der repressiven politischen Praxis des »Weimarer« Staats aber nur verzerrt abbildet und zu einer irreführenden Vorstellung verallgemeinert.

16 Vgl. dazu H. Kreutzer, »Der Ausnahmezustand im deutschen Verfassungsrecht«, in: E. Fraenkel (Hrsg.),Der Staatsnotstand, Berlin 1965, S. 9 ff., insbes. S. 23 ff.

17 Maßnahmen nach Art. 48 RV setzten keinen besonderen formalisierten Akt voraus, während nach dem preußischen Gesetz aus dem Jahre 1851 der »gro­ße Belagerungszustand« »bei Trommelschlag und Trompetenschall« verkün­det werden mußte. Daher war nach Art. 48 RV »die Ausnahmegewalt des Reichspräsidenten jeden Tag latent vorhanden«, H. Kreutzer, a.a.O., S. 27, 14.

18 H. Kreutzer, a.a.O., S. 26.

19 F. K. Fromme meint daher, man habe gegen die Tauglichkeit des Art. 48 RV als »Abwehrmittel der Weimarer Demokratie« einwenden können,»daß Art.


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48 wohl zu Maßnahmen zur Wiederherstellung von Ordnung und Sicherheit dienen sollte, aber nicht für in bestimmter Richtung wirkende Beschneidung politischer Rechte gebraucht werden dürfe«, a.a.O., S. 167. Die Referenz­ebene dieses Einwands ist, unschwer zu erkennen, von der Praxis der »streit­baren Demokratie« des »Bonner« Staats bestimmt.

20 Vgl. dazu F. Hase, »Richterliches Prüfungsrecht und Staatsgerichtsbarkeit. Zu den Auseinandersetzungen über Formen einer justiziellen Kontrolle der parlamentarischen Gesetzgebung in Weimar«, in: F. Hase, K.-H. Ladeur, Verfassungsgerichtsbarkeit und politisches System, a.a.O., S. 103 ff., insbes. S. 104 ff., 126 ff.

21 Man könnte vielleicht (und sicher etwas unscharf) sagen, daß der Reichspräsident in der wesentlich parlamentarisch orientierten Reichsverfassung in einer widersprüchlichen Weise Traditionen der konstitutionellen Monarchie, des bürokratisch-militärischen »Obrigkeitsstaats« der Vergangenheit repräsentiert: Nicht nur wegen der weitreichenden rechtlichen Kompetenzen, die ihm auch gegenüber dem Parlament eingeräumt wurden, sondern vor allem wegen seiner politisch-ideologischen Stellung als Gegengewicht zu den parlamentarisch-pluralistischen Mechanismen und Kräften, die ihm weithin schon bei Verabschiedung der Verfassung zugewiesen wurde. Aufschlußreich ist insoweit, daß der Abgeordnete Kahl (DVP) im Verfassungsausschuß ausführte: »Es bestehen zweifellos starke Verbindungslinien zwischen dem bisherigen Reich und dem neu... zu schaffenden. . . in den Befugnissen des Reichspräsidenten . . .«(zit. n. F. K. Fromme, a.a.O., S. 27). Die Stellung des Reichspräsidenten ist denn auch vielfach mit der des Kaisers nach der alten Reichsverfassung verglichen worden, vgl. nur T. Eschenburg, Die improvisier­te Demokratie der Weimarer Republik, Laupheim o. J., S. 41; F. K. Fromme merkt in diesem Zusammenhang an, daß der Weimarer Reichsverfassung
»eine einheitliche und unwiderstehliche Staats- und Staatsformidee« gefehlt habe, a.a.O., S. 27.

22 Um jedem Mißverständnis vorzubeugen: Die im folgenden zu behandelnden Autoren haben m. E. konzeptionelle Vorarbeit geleistet. Es geht mir keineswegs darum, ihnen die alleinige Verantwortung für die Entstehung des Konzepts der »streitbaren Demokratie« und die mit diesem verknüpfte staatliche Praxis anzulasten.

23 H. Kelsen, Demokratie. Verhandlungen des 5. Deutschen Soziologentages vom 26. - 29. September 1926 in Wien, Tübingen 1927, S. 37 ff., jetzt in (und zitiert aus): H. Kelsen, Demokratie und Sozialismus, Wien 1967, S. 11 ff., hier S. 35.

24 H. Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, Tübingen 1920, S. 26 ff. Vgl. auch G. Anschütz, Drei Leitgedanken der Weimarer Reichsverfassung (Rede bei der Jahresfeier der Universität Heidelberg vom 22.11.1922), Tübingen 1923, S. 30 f. R. Thoma, »Das Reich als Demokratie«, in: G. Anschütz, R. Thoma (Hrsg.), Handbuch des Deutschen Staatsrechts, 1. Band, S. 186 ff., hier S. 189 f.

25 Vgl. hierzu G. Bataille, Die psychologische Struktur des Faschismus, München 1978, S. 12 f.: »In der Demokratie bezieht der Staat seine Macht vor allem aus der spontanen Homogenität, die er lediglich fixiert und zur Regel macht.«

26 Vgl. zu letzterem Aspekt auch K.-H. Ladeur, »Verfassungsgerichtsbarkeit


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und die grundlegende Konvention der bürgerlichen Gesellschaft. Vor Überlegungen zu einer Theorie des Verfassungsrechts«. in: F. Hase K. H. Ladeur, a.a.O., S. 189 ff., hier S. 205.

27 Es sei hier nur darauf hingewiesen, daß eine derartige Umstülpung auch das derzeit in der Bundesrepublik (jedenfalls in der administrativen Praxis) vor herrschende Verständnis von »Wissenschaftspluralismus« bestimmt: dieses ist wesentlich repressiv orientiert und zielt gerade auf die Verhinderung des Diskurses, den es programmatisch zu postulieren vorgibt, vgl. dazu M. v. Brentano, »Wissenschaftspluralismus. Zur Funktion, Genese und Kritik eines Kampfbegriffs«, in: Das Argument, Nr. 66, 1971. S. 476 ff.; U.K. Preuß, »Zum Problem des Wissenschaftspluralismus«, in: ders., Legalität und Pluralismus, Frankfurt a. M. 1973, S. 117 ff.

28 H. Kelsen, »Verteidigung der Demokratie«, in: Blätter der Staatspartei, April 1932, S. 90 ff., jetzt in (und zitiert aus): H. Kelsen, Demokratie und Sozialismus, a.a.O., S. 60 ff., hier S. 67.

29 Auch G. Radbruch ist der Meinung, daß »der Relativismus« die von dem »demokratischen Gedanken vorausgesetzte Weltanschauung« sei: die Auffassung, »daß es eine beweisbare und unwiderlegbare Richtigkeit im Bereiche der politischen Grundanschauungen nicht gibt - nur unter dieser Voraussetzung kann ja jeder politischen Überzeugung, die eine Mehrheit für sich zu gewinnen vermochte, das gleiche Recht zugestanden werden, die Herrschaft im Staate zu übernehmen«, »Die politischen Parteien im System des deutsehen Verfassungsrechts«, in: G. Anschütz, R. Thoma (Hrsg.) Handbuch des Deutschen Staatsrechts, 1. Band, a.a.O., S. 285 ff., hier S. 289.

30 G. Radbruch unterscheidet schon in »Weimar« zwischen »echten« und »unechten« Parteien, das heißt zwischen solchen, die sich bloß am »Interesse eines Volksbruchteils«, einer »Gruppe im Volke« und jenen, die sich am »Wohle der Gesamtheit«, am »Wohl des ganzen Volkes« orientieren, a.a.O. S. 294. Hier macht sich bereits eine deutliche Tendenz bemerkbar, minoritäre Parteien, die nicht imstande sind, hegemoniale Funktionen zu übernehmen - sich am »Ganzen« zu orientieren -, als Parteien zu negieren.

31 H. Kelsen, »Demokratie«, a.a.O., S. 38.

32 H. Kelsen,»Verteidigung der Demokratie«, a.a.O., S. 64 (Hervorhebung von mir, F. H.).


33 Ebd.,S.68. Es wäre lohnend, die Begriffe genauer zu untersuchen mit denen die »relativistische« Ideologie die Krise der Weimarer Republik zu bestim­men versucht: Aus der politischen Formbestimmung »Demokratie« wird sogleich »die Demokratie« als ein Subjekt, das, wenn es nur will, handeln und sich verteidigen kann - es ist natürlich der Staat, der in ihrer Vorstellung unterderhand die Position der»Demokratie« eingenommen hat. Aus den die parlamentarisch-demokratische Verfassungsstruktur bedrohenden Prozessen und Potenzen wird »das Volk«, womit nicht nur die antiparlamentarischen Aktivitäten staatlicher, besonders zentraler exekutivischer Apparate unterschlagen, sondern auch die Frontstellungen im gesellschaftlichen Be- reich global verdrängt werden. Der Realitätsgehalt dieser Kategorien ist sichtlich gering. Aufschlußreich sind sie dennoch für das völlige Desaster und die Hilflosigkeit der »relativistischen« Ideologie in der Endphase der Weimarer


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Republik. Sie reflektieren die Situation einer Ideologie, die wesentlich, von vornherein und so weitgehend Staatsideologie ist, daß sie ihre abstrakte Staatsfixierung auch in einer Situation nicht zu überwinden vermag, in der die von ihr vorausgesetzten, affrmierten und »angerufenen« - parlamentarisch-pluralistischen - politischen und staatlichen Praxisformen schon nahe­zu vollständig zersetzt sind. Dieser Ideologie bleibt nur eines: die Resigna­tion.

34
G. Radbruch,»Der Relativismus in der Rechtsphilosophie«, Vortrag in Lyon, veröffentlicht in den Archives de Philosophie du Droit, Nrn. 1/2, 1934, jetzt in(und zitiert aus): ders., Der Mensch im Recht, S. 80 ff.

35 Vgl. o. Fn. 29, 30.

36
»Die politischen Parteien im System des deutschen Verfassungsrechts«, in:a.a.O., S. 294.

37 G. Radbruch, »Der Relativismus in der Rechtsphilosophie«, a.a.O., S. 85. Hinter dieser unscheinbaren Umkehrung verbirgt sich die entscheidende Wende der deutschen Pluralismuskonzeption, die hier als »repressive Um­stülpung« bezeichnet wird.

38 »Der Relativismus in der Rechtsphilosophie«, a.a.O., S. 86.

39
Ebd. Die Problematik dieser Option resultiert aus ihrer Allgemeinheit: sie macht sich keine weiteren Gedanken darüber, welche Instanz in welchem Verfahren - Prognosen sind hier aber jedenfalls erforderlich - feststellen soll, welche Meinung sich für »absolut gültig« hält und »intolerant« gegenüberanderen ist.

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